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“Viele Menschen leben an den Kirchen vorbei”

Nach acht Jahren gab Marcel von Holzen Ende 2022 sein Amt als Dekan der Stadt Zürich ab. Zeit, um zurückzublicken. Die SKZ hat mit ihm über seinen Weg und seine Erfahrungen gesprochen.

SKZ: Herr von Holzen, wo waren Sie bisher als Seelsorger tätig?
Marcel von Holzen: Nach dem Pastoraljahr in der Pfarrei Kilchberg war ich neun Jahre als «Vikar» (ohne Pfarrer vor Ort) in der Pfarrei Aesch-Birmensdorf-Uitikon tätig. Zusammen mit dem Ehepaar Leist, beide Pastoralassistenten, leiteten wir die Pfarrei damals experimentell als «Triumvirat». 2007 wechselte in die Stadt Zürich, wo ich in der Erlöserpfarrei im Seefeld während neun Jahren die erste Pfarrstelle innehatte – eine sehr schöne Zeit. 2016 bat mich der damalige GV Josef Annen, in die wesentlich grössere Pfarrei Höngg zu wechseln, wo ich bis 2021 tätig war. Durch Stellenvakanz in der Nachbarschaft und aufgrund meiner Rolle im Zukunftsprojekt «Kirche2030» wechselte ich in die Guthirtpfarrei Wipkingen, die nun zusammen mit der Höngger Pfarrei ein 10’000-Mitglieder-grosses Versuchsfeld für künftige Kooperationen darstellt.


Ihre Biografie: Kommen Sie aus der Stadt oder vom Land?
Ich bin Städter und in Zürich-Nord aufgewachsen. Meine spirituelle Heimat war die Pfarrei Allerheiligen, eine der kleineren Gemeinden mit reichhaltigem Pfarreileben. Grossgeworden bin ich dort vor allem in der Ministrantenarbeit. Aus diesem Engagement wuchs auch der Wunsch, Priester zu werden. Als eher künstlerischer Typ wählte ich nach der Schule eine Hochbauzeichner-Lehre, die ich nach vier Jahren – weiterhin mit dem Berufswunsch Priester – abschloss. In dieser Zeit erlebte ich die Kirche als Spannungsfeld zwischen verschiedenen Kirchenbildern. Bischof Wolfgang Haas hat mich als junger Mensch angesprochen, da seine klare Vorstellung einer starken Kirche meiner Suche nach Halt in einer sich wandelnden Welt entsprach. So kam ich dann, nachdem ich verschiedene Studienmöglichkeiten geprüft hatte, als Quereinsteiger via «Lauretanum» zum Theologiestudium nach St. Luzi, Chur. Trotz meiner konservativen Gesinnung (besonders im Bereich der Liturgie) empfand ich mich damals schon als offener Geist mit Interesse an anderen Meinungen und Weltanschauungen, fremden Kulturen und Religionen. Und so kann ich sagen, dass sich mein ökumenischer und interreligiöser Horizont in den vergangenen 25 Dienstjahren reichhaltig erweitert hat.


Ist Seelsorge in der Stadt etwas ganz anderes?
Ich denke, dass sich die Situation unter den städtischen Pfarreien gegenüber jenen in der Agglomeration nicht so stark unterscheidet. Der Kontakt untereinander war bis vor kurzem meistens eher bescheiden, da die Pfarreiteams mit ihren eigenen Betrieben genug zu tun haben. Seit dem Prozess «Kirche2030», der nicht zuletzt auch aufgrund der Austritte und Finanzeinbrüche ins Leben gerufen wurde, hat die Vernetzung unter den pastoralen Teams und den pfarreilich Engagierten positiv zugenommen.

Welches sind in der Seelsorge in Zürich die grössten Herausforderungen?

Da ist einmal die naturgegebene multikulturelle Situation sowie eine gewisse Anonymität, die der starken Individualisierung in der Gesellschaft geschuldet ist. Viele Menschen leben einfach an den Kirchen vorbei, da institutionalisierte Religion gegen den Lifestyle-Trend läuft. Das wirkt sich natürlich auch auf die Mitgliedschaft aus. Durch die Kirchenaustritte haben wir in der Stadt jetzt noch 98’000 Katholiken gegenüber den 160’000 in den «besten Zeiten». Gleichzeitig existieren immer noch 23 Pfarreien mit allem strukturellen und finanziellen «Drum und Dran». Hier wird sich in der Zukunft zwangsläufig einiges verändern und zu mehr Kooperation führen müssen. Gleichzeitig wollen wir keine Fusionen, wie wir sie etwa bei der reformierten Schwesterkirche erleben.


Kann man noch von Territorial-Seelsorge sprechen?
Man kann und man muss! Wir vertreten z. B. den Grundsatz, dass wir allem, «was Räder hat» – Kinderwagen und Rollatoren (Kinder und Senioren) –, und natürlich auch anderen Altersgruppen, vor Ort begegnen wollen. Daneben gibt es Angebote für Jugendliche und Erwachsene, die dank der Mobilität künftig auch dezentral stattfinden können.

Sie haben sicher eine grosse City-Pastoral. Wie funktioniert die?
Tatsächlich gibt es in der Stadt keine klassische City-Pastoral, wo alles aufs Zentrum hin ausgerichtet ist. Der Schwerpunkt liegt weiterhin bei den Pfarreien, wobei Innenstadtpfarreien wie Liebfrauen und St. Peter und Paul besondere Zentrumsfunktionen wahrnehmen und auch durch ihre Lage und ihr Angebot (Liturgie, Kirchenmusik, Soziales) den Charakter von «Personalpfarreien» haben. Im Weiteren gibt es das Projekt «Kirche urban», das in der ersten Phase eher als «24.Kirchgemeinde» speziell für ein junges wie auch kirchenfernes Publikum ins Leben gerufen wurde. Als Neuauflage soll «Kirche urban» nun vermehrt in die 23 Pfarreien hinaus gehen und dort mit den Gemeinden Projekte verwirklichen.


Dekan für die grosse Stadt – wie fühlte sich das an?
Die Dekanenarbeit war in all den Jahren spannend, vielfältig und zeitweise auch sehr stressig. Bis vor vier Jahren teilte ich mir diese Aufgabe mit einem zweiten Dekan. Nach dessen Ausscheiden beschloss die Dekanatsversammlung, diese Tätigkeit angesichts der zunehmenden Anforderungen auf drei Personen auszuweiten. Offiziell standen uns dafür total 35 Prozent zu; in Wirklichkeit war das Arbeitspensum jedoch um einiges grösser, was uns immer wieder herausforderte und für die eigene Pfarreiarbeit sehr viel Absenz und Delegation bedeutete – ein oft unbefriedigender Zustand. Nun freue ich mich umso mehr, dass ich seit dem 1. Januar 2023 wieder zu 100 Prozent Pfarreiseelsorger sein darf.

Interview: Heinz Angehrn

Bildlegende:

Marcel von Holzen (Jg. 1971) ist gelernter Hochbauzeichner. Nach dem Theologiestudium war er in verschiedenen Pfarreien tätig. Seit 2022 ist er Pfarrer der Guthirtpfarrei Wipkingen und Pfarradministrator der Pfarrei Hl. Geist Höngg.

Quellenangabe: www.kirchenzeitung.ch